Social Media entfesselt! Oder: RIP Twitter

Die Social Media Welt ist im Wandel. Elon „Space Karen“ Musk bringt im Moment den beliebten Micro-Blogging bzw Nachrichtendienst Twitter um, den er sich um lächerliche 44 Milliarden US Dollar geschnappt hat. Wer selbst nie auf Twitter unterwegs war, wird vermutlich mit den Schultern zucken und sich über den ganzen Tumult nur wundern.

Ich war jedoch so ziemlich von Anfang an dabei und Twitter war die letzten 14 Jahre für mich ein selbstverständlicher, täglicher Wegbegleiter. Zugegeben, über die letzten Jahre ließ meine Bindung mehr und mehr nach und ich verwendete Twitter eigentlich in erster Linie nur mehr passiv als Nachrichtendienst und zum gelegentlichen Promoten meiner Medienprojekte. Aber richtig Freude hatte ich schon eine Weile nicht mehr damit. Interessante Kommunikation und Austausch wurde für „kleine Fische“ wie mich immer schwieriger, die großen, lauten, reichweitenstarken Benutzer gaben den vom Algorithmus unterstützten Ton an. Ich dachte nie groß darüber nach, das war einfach die Richtung, in der es ging.

Dann kam der Oktober 2022. Twitter gehörte plötzlich einer einzigen Person, Elon Musk. Mir war der Milliardär bisher relativ egal, lediglich eine Person des öffentlichen Interesses, den man ab und zu bewundern, sich ganz oft über ihn wundern oder zumindest amüsant finden konnte. Doch plötzlich hatte er sich in mein Leben gemischt. Erst jetzt, wo er tatsächlich damit beginnt, das Unternehmen nach seinen eigenen, sehr zweifelhaften Vorstellungen umzubauen, tausende Leute arbeitslos macht, den öffentlichen Diskurs langfristig beschädigt und den Onlinedienst an den Rand des technischen Zusammenbruchs bringt, wird mir so richtig klar, wie falsch die Richtung ist, in die sich Internet-gestützte Kommunikationsdienste entwickelt haben.

Das Internet, wie wir es seit den 1990ern kennen, sollte  ein Ort der Freiheit sein, das die Menschen zusammenbringt, regionale Grenzen einreißt und die Welt zu einem Dorf macht. Das Internet war damals bestimmt von Idealismus, von offenen und transparenten technischen Standards, die niemanden gehören und kostenlos von jedem genutzt werden können. Natürlich spielten gewinnorientierte Konzerne immer schon eine Rolle und prägten das Internet maßgeblich mit. Microsoft kommt einem da sofort in den Sinn. Aber Microsoft ist eben auch seit mehr als 40 Jahren eine Konstante, die nicht so schnell verschwinden wird. Vielleicht verzerrt das den Blick auf die Realität. Unternehmen kommen und gehen und mit ihnen ihre Produkte und Dienstleistungen. Sie können aufgekauft, unter anderer Führung weitergeführt oder mit anderen Unternehmen fusioniert werden. Wie das ausgehen kann, können wir derzeit erste Reihe fußfrei bei Twitter beobachten.

Ich habe 14 Jahre lang bereitwillig meine Daten frei nach dem Motto „ist etwas im Internet kostenlos, bist du nicht der Kunde, sondern das Produkt“ bereit gestellt, im Vertrauen darauf, dass ein großes, angesehenes Unternehmen wie Twitter schon halbwegs weiß, was es damit tut. Plötzlich gehören alle „meine“ Daten einem egomanischen Riesenbaby namens Elon, der als völliger Alleinherrscher ohne Duldung von Kritik und Widerrede monarchisch über das Unternehmen befiehlt. Der Typ, der mir bis vor kurzem relativ egal war, ist nun direkt in mein Leben eingedrungen. Das mag jetzt übertrieben klingen, aber wenn man einen Dienst 14 Jahre lang täglich verwendet, dann wird dieser Dienst Teil des eigenen Lebens.

Abgesehen davon zeigt die Twitter-Übernahme auch auf, warum Datenschutz und bewusster, veranwortungsvoller Umgang mit Benutzerdaten ein enorm wichtiges Thema ist, das nicht einfach mit „Lass sie ruhig machen, ich habe ja eh nichts zu verbergen“ weggewischt werden kann. Ein Medienkonzern wie Twitter, der durch lahrelange Analyse und Auswertung meiner Nutzungsdaten vermutlich mehr über mich weiß, als ich selbst, kann jederzeit „feindlich“ übernommen werden. Meine Daten können jederzeit den Besitzer wechseln, der damit potentielle Dinge anstellen kann, die man sich gar nicht vorstellen will.

Ich habe inzwischen meine 18.000 Tweets gelöscht und bereite mich mit einem weinenden Augen auf meinen Abschied von Twitter vor. Ich möchte nicht Teil von Elon Musks unberechenbaren Wahnsinn sein. Ich möchte schon gar nicht Teil einer Plattform sein, die auf Musks fragwürdiger Vorstellung von „Meinungsfreiheit“ basiert. Ich bin wie viele, denen es ähnlich ergeht, in eine Parallelwelt geflüchtet: Mastodon.

Mastodon ist Open Source, gehört also jedem und niemanden. Mastodon wird auf tausenden, voneinander unabhängigen Servern betrieben und kann somit niemals von einem verrückten Milliardär gekauft und kaputt gemach werden. Und vor allem: Mastodon ist nicht kommerziell. Dort werden keine Userdaten gesammelt, analysiert und verkauft. Dort werden Beiträge nicht von einem undurchschaubaren Algorithmus sortiert und verteilt, um möglichst große Aufregung, Aufmerksamkeit und somit auch Werbeeinnahmen zu erzeugen. Klar, Mastodon blinkt und glänzt nicht ganz so hübsch wie Twitter, aber das muss es auch nicht. Es muss lediglich unverfälschte, gleichberechtigte Kommunikation ermöglichen, ganz im Sinn des ursprünglichen Internet-Gedankens: Es gehört niemanden und somit allen. Power to the people, sozusagen.

So schön das auch klingen mag, ich bezweifle, dass Mastodon eine dauerhafte Alternative zu Twitter sein kann. Es existieren derzeit 7 Millionen Nuterzaccounts, während Twitter etwa 300 Millionen User verzeichnet. Es ist technisch einfach nicht möglich, derartig viele neue User in vergleichsweise kurzer Zeit auf den Mastodon Servern aufzunehmen, die ja alle entweder privat oder gemeinnützig betrieben und finanziert werden müssen. Ich denke, wir erleben gerade eine gigantische Promo-Aktion für ein freies, dezentrales Internet. Millionen von Menschen werden sich derzeit zum ersten Mal seit fast zwei Jahrzehnten überhaupt wieder darüber bewusst, dass Internetdienste auch außerhalb der gierigen, gewinnorientierten Hände von Unternehmen und Konzernen möglich sein können.

Diese Promo-Aktion für ein offenes, dezentrales Internet hat jedoch ein Ablaufdatum. Twitter wird als Plattform wahrscheinlich nicht verschwinden. Es wird sich krachend und käuchzend zu einer anderen Form transfomieren, die nicht mehr viel damit zu tun haben wird, wie wir es kannten. Es werden andere, kommerzielle Plattformen die Bühne betreten und mit riesigen Geldsummen um neue Nutzer buhlen. Diese neuen Player werden dann auch die Infrastruktur bereitstellen, um hunderte Millionen Accounts beherbergen zu können. Viele, die im Moment mehr oder weniger unabsichtlich zu Mastodon geflüchtet sind, werden dann wieder abwandern. Mastodon wird zwar weiter wachsen, aber nicht in einer mit Twitter oder gar Facebook vergleichbaren Größenordnung.

Ob ich Mastodon dann auch wieder den Rücken kehren werde? Ich kann es mir im Moment nicht vorstellen. Ich fühle mich dort einfach viel zu wohl und es würde mich freuen, wenn ein dezentrales, nicht-kommerzielles und gleichberechtigtes Social Media das Internet der Zukunft dauerhaft bestimmen würde.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Euer humaldo

Ihr findet Ihr mich hier auf Mastodon: metalhead.club/@humaldo

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